Liquide versus illiquide Vermögenswerte
Der Effekt der Tokenisierung auf die Liquidität von Vermögenswerten ist mehrschichtig. Zu unterscheiden gilt es zwischen Vermögenswerten, welche heute als illiquid gelten – beispielsweise Immobilien – und Vermögenswerten, welche bereits eine hohe Liquidität aufweisen. Erstere profitieren durch die Tokenisierung, da die Handelbarkeit solcher einst illiquiden Vermögenswerte vereinfacht wird. Die vereinfachte Handelbarkeit wiederum erlaubt es, die Vermögenswerte auf Handelsplätzen zu platzieren, wodurch eine erhöhte Liquidität generiert werden kann. Vermögenswerte, welche bereits heute eine hohe Liquidität aufweisen, profitieren weniger und können durch die Tokenisierung gar eine Zerspaltung der Liquidität erfahren. Dies ist dann der Fall, wenn Vermögenswerte sowohl auf traditionellen Marktplätzen wie auch auf Marktplätzen für tokenisierte Assets gehandelt werden.
Wann führt die vereinfachte Handelbarkeit auch zu mehr Liquidität?
Wichtig ist jedoch zu bemerken, dass die Tokenisierung allein auch bei heute illiquiden Vermögenswerten noch zu keiner erhöhten Liquidität führt. Die Tokenisierung ist lediglich der Baustein, welcher die Handelbarkeit ermöglicht. Ob es von einer vereinfachten Handelbarkeit zu einer erhöhten Liquidität kommt, hängt von mehreren weiteren Bausteinen ab:
- Infrastruktur: Gibt es Marktplätze, wo sich Käufer und Verkäufer treffen und Transaktionen abwickeln können?
- Marktteilnehmer: Gibt es institutionelle Market Maker oder analoge technische Funktionalitäten, welche die Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein einer geeigneten Gegenpartei erhöhen?
- Handelsvolumen: Je höher das gesamthaft ausstehende Volumen des Vermögenswertes in Kombination mit einer hohen Anzahl Investoren, desto grösser die Anzahl möglicher Gegenparteien
- Stückelung: Je kleiner der kleinstmögliche Anteil, welcher ein Käufer von einem Vermögenswert kaufen kann, desto grösser die Anzahl Käufer
Nur wenn diese Bausteine zufriedenstellend abgedeckt sind, kann eine Tokenisierung von Vermögenswerten auch zu erhöhter Liquidität im Markt führen.
Liquiditätsgewinne und -verluste in der Abwicklung von Transaktionen
Es gilt jedoch, noch einen Schritt tiefer zu tauchen und auch den Bereich der Abwicklung von Handelstransaktionen genauer zu betrachten. Eine Blockchain-basierte Finanzmarktinfrastruktur mit tokenisierten Vermögenswerten kann zu einer schnelleren Abwicklung von Handelstransaktionen führen. Das steigert die Effizienz, da hinterlegte Sicherheiten schneller wieder verwendet werden können. Das hat einen positiven Effekt auf die Liquiditätssituation an den Finanzmärkten: Gelder sind weniger lange gesperrt, Sicherheiten können schneller wieder verwendet werden und die Mittel fliessen rascher in den Markt zurück.
Damit gleich zu urteilen, dass die Blockchain in der Abwicklung zu einer generell besseren Liquiditätssituation an den Märkten führt, wäre jedoch zu kurzsichtig. Heutzutage werden viele Transaktionen auf einer sog. Netto-Basis abgewickelt. Zur Unterscheidung zwischen Netto- und Brutto-Basis gilt es Folgendes zu verstehen:
- Eine Abwicklung auf Netto-Basis bedeutet, dass erst am Ende eines Zyklus (beispielsweise am Ende eines Handelstages) alle gemachten Transaktionen gemeinsam abgewickelt werden. Dabei werden alle getätigten Transaktionen gegeneinander aufgerechnet und nur die netto übrigbleibenden Ströme werden abgerechnet. Wenn Mia Freddy 100 Aktien für 100 Euro verkauft und dann später am selben Tag 20 Aktien für 20 Euro wieder zurückkauft, so wird am Ende des Tages nur ein Verkauf von 80 Aktien zu 80 Euro abgewickelt.
- Eine Abwicklung auf Brutto-Basis bedeutet, dass jede Transaktion individuell abgerechnet wird. Wenn immer noch einmal am Tag abgerechnet wird, würde das bedeuten, dass am Ende dieses Tages Mia 100 Aktien senden muss und in einer anderen Transaktion 20 Aktien von Freddy zurückerhält. Während des ganzen Tages waren aber sowohl die 100 Aktien bei Mia als auch die 20 Aktien bei Freddy blockiert und konnten nicht für anderweitige Transaktionen verwendet werden (dasselbe für die versprochenen Euros).
Eine Abwicklung auf Netto-Basis reduziert die notwendige Liquidität im Vergleich zu einem Prozess, welcher jede Transaktion individuell abrechnet. Tokenisierte Vermögenswerte werden in der Regel auf einer Brutto-Basis abgerechnet. Dadurch wird tendenziell mehr Liquidität gebraucht und weniger steht im Markt zur Verfügung. Der durch die Blockchain generierte Liquiditätsgewinn durch erhöhte Abwicklungsgeschwindigkeit steht also dem Liquiditätsverlust durch vermehrte Brutto-Abwicklung gegenüber. Je höher jedoch die Abwicklungsgeschwindigkeit (z.B. wenn stündlich oder sogar sofort anstelle nur einmal am Tag abgerechnet wird), desto weniger spielt die Abwicklungsform (Netto-Basis vs. Brutto-Basis) eine Rolle.
Fazit: Es ist nicht alles so eindeutig
Dass Tokenisierung zu erhöhter Liquidität führt, ist also gar nicht so selbstverständlich. Vielmehr gilt es die Vielschichtigkeit des Finanzmarktes im Detail zu kennen, um den Effekt der Tokenisierung auf die Liquidität von Vermögenswerten zu beurteilen.
Quellen
Kurt, L. & Kurt, D. (2022). Digitale Assets & Tokenisierung. Wiesbaden: Springer Gabler
OECD. (2020). The Tokenisation of Assets and Potential Implications for Financial Markets, OECD Blockchain Policy Series. Abgerufen von https://www.oecd.org/finance/The-Tokenisation-of-Assets-and-Potential-Implications-for-Financial-Markets.pdf